Ich hatte schon gelesen, dass die Etappe an Tag 25 es noch mal in sich haben sollte. Der Aufstieg zum Cruz de Ferro ließ aufgrund der tief hängenden Wolken nur erahnen, in was für einer grandiosen Landschaft ich mich bewegte. Auf halbem Weg sah ich ein paar Pilger mit Bobby, dem Hund von Dennis. Nur von Dennis war nichts zu sehen. Wie ich später erfahren habe, ist Bobby mit den anderen Pilgern vorgelaufen und hat Dennis abgehängt, der 3,5 km von ihm entfernt nach ihm suchte.
Am Cruz de Ferro angekommen rissen die Wolken auf und ich konnte einen besonders mystischen Moment erleben. Viele Pilger legten kleine Steine am Gipfel nieder, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatten, und einige hielten Fotos von Familienangehörigen hoch und ließen sich so fotografieren.
Der Abstieg hatte es dann so richtig in sich.1.000 Höhenmeter bergab. Es ging teilweise so steil bergab, dass ich kurzzeitig überlegt habe, auf dem Hosenboden den Abhang herunterzurutschen. In einem kleinen Dorf angekommen, setzte ich mich in eine Bar, um einen wohlverdienten Kaffee zu trinken und meine geplagten Beine etwas auszuruhen. Ich war mir sicher, den längsten Teil des Abstiegs hinter mir zu haben und dass es hinter dem Dorf flacher weitergehen würde. Ein Blick in das Höhenprofil und auf meine Sportuhr hätte mir verraten, dass mir das dicke Ende noch bevorstand. Gefühlt ging es senkrecht den Berg hinunter und es dauerte nicht lange, bis meine Beine verkrampften und meine Knie anfingen zu zittern. Als ich mich klitschnass für ein paar Minuten im Schatten eines Baumes ausruhte, tauchte eine Truppe vollvermummter kleiner Menschen hinter mir auf. Socken über den Leggins, langärmelige Shirts, Handschuhe, Hüte und Gesichtsmasken, die nur die Augen und die Münder erahnen ließen. Bei ihrem Anblick hatte ich gemischte Gefühle. Diese Trüppchen waren mir schon das eine oder andere Mal auf dem Camino durch ihre Art zu wandern aufgefallen – chinesische Reisegruppen, die die sehenswerten Teile des Jakobswegs in Begleitung eines Versorgungsfahrzeugs laufen und ihr Gepäck (in der Regel riesige Koffer) durch einen Kurier von Hotel zu Hotel transportieren lassen.
Leider habe ich in dem Moment vor lauter Erschöpfung und Irritation vergessen, ein Foto zu machen. Am Endpunkt des Tages ist mir aber eine alternative-Pilgerin vor die Linse gelaufen – das Foto gibt’s unten im Blog.
Nachdem das Schauspiel an mir vorübergezogen war, machte ich mich wieder auf den Weg. Hätte ich meinen Rucksack und alles in die Ecke werfen können, wäre das der Moment gewesen. Die letzten Kilometer wankte ich ins Tal und war heilfroh, in meinem Hostel von meinem brasilianischen Gastgeber herzlich empfangen zu werden. Ich meldete mich für das gemeinsame Abendessen an und suchte ein Geschäft, um meinen Wasservorrat aufzufüllen. Auf dem Weg sprach mich ein vor einer schäbigen Bar sitzender Amerikaner an. Ich hatte ihn schon ein paar Mal gesehen und so setzte ich mich zu ihm. Bei einigen Bieren und guten Gesprächen verging der Nachmittag wie im Fluge und wir stellten fest, dass wir in der gleichen Herberge ein Zimmer gemietet hatten. Das brasilianische Abendessen und einige Gläser Wein rundeten den Abend ab und so fiel ich völlig fertig aber gut gelaunt ins Bett.
Die nächste Etappe von Molinaseca nach Villafrance del Bierzo mit ihren 30 km hielt eine Überraschung für mich bereit. Ich hatte schon einen wesentlichen Teil der Tagesstecke hinter mich gebracht, da traf ich hinter einer Kurve auf einem kleinen „Rastplatz“ Marie-Christin (MC) wieder. Wir hatten uns in Burgos flüchtig kennengelernt, uns seitdem aber nicht wiedergesehen. Den Rest der Strecke, die sich dann doch noch ordentlich zog und durch die Hitze unerträglich wurde, liefen wir zusammen. Für den Abend verabredeten wir uns lose auf dem Marktplatz.
Unsere Gruppe zum Abendessen vergrößerte sich noch etwas und wir saßen bis spät in die Nacht zusammen. Die Themen dieses Abends bekommen ein eigenes Kapitel in meinem Buch – sollte ich denn irgendwann mal eins schreiben.