Das späte Ende des Vorabends und der reiche Weingenuss rächten sich am nächsten Morgen. Ich setze mich in die erste Bar, die ich fand und die Kaffee servierte. Als ich gerade bestellt hatte, bog MC um die Ecke. Sie hatte es offensichtlich trotz einiger Ausfallerscheinungen am Vorabend in ihre Unterkunft geschafft und sah noch weniger dynamisch aus als ich. Nach einem kurzen Frühstück machten wir uns auf den Weg in Richtung Herrerias. Die erste Hälfte der Strecke ging es vorwiegend an einer Schnellstraße entlang. Viele Pausen und unser eher verhaltenes Lauftempo führten dazu, dass wir für knapp 20 Kilometer über 7 Stunden unterwegs waren. Auf den letzten fünf Kilometern ging es wieder durchs Grüne und viele kleine Orte. In Herrerias angekommen war der Tag nach einem kurzen Abendessen dann auch für mich zu Ende.
Für Tag 28 hatte ich mit knapp 8 km einen kurzen Tag geplant, da ich noch einige Tage Blog- Beiträge aufholen wollte und mir vorgenommen hatte, einen halben Tag zu arbeiten. Doch 600 Höhenmeter taten ihr Bestes, mich so richtig fertigzumachen. Schon nach 2 km war ich klitschnass. Auf dem Weg begegnete ich Maja, einer Freundin von MC, die sich seit einigen Tagen mit einem fiesen Virus rumplagte, aber trotzdem jeden Tag lief. Nach einer kurzen Pause, die ich zum Trockenwerden nutzte (das hätte ich mir sparen können), ging es weiter nach O Cebreiro. Die Luftfeuchtigkeit war mörderisch hoch, und als ich in dem kleinen Gipfeldorf ankam, war ich froh, nicht noch weiter laufen zu müssen. Ich checkte meine Reservierungsbestätigung – nur um festzustellen, dass ich ein Zimmer in einem Nachbarort reserviert hatte. Problem: der Nachbarort lag auf der anderen Seite des Tals. In Luftlinie ein Witz (ich konnte den Ort sogar sehen), zum Laufen nahezu unmöglich – zumindest für mich. Zum Glück fand ich eine Herberge, in der ich ein Bett in einem Zwei-Bett-Zimmer bekam. Wie man hier so schön sagt: The Camino provides.
Ich setzte mich zu ein paar Pilgern auf die Terrasse einer Bar am Ortseingang. Kathrin aus den USA hatte ich bei meiner Ankunft in O Cebreiro kennengelernt, und sie leistete mir – zusammen mit MC und Maja – Gesellschaft. Kathrin ist ein unglaublich kommunikativer und aufgeschlossener Mensch, der alles und jeden entlang des Caminos kennt. Der restliche Nachmittag stand, obwohl er anders geplant war, unter dem Motto „Radio Camino“. Kathrin wusste zu fast jedem Pilger, der an uns vorbeilief, etwas zu berichten. Wir kamen schnell auf einen Pilger zu sprechen, der uns beiden schon aufgefallen war und der entlang des Caminos wie ein bunter Hund bekannt war – nicht im Guten. Ein kleiner, dünner Franzose, der wie eine abgehalfterte Version von Mick Jagger aussieht (ja, auch das geht) und normalerweise in einer knallengen, lila Leggins unterwegs ist, war – ihm war wohl zu warm – ohne Hose pilgernd gesehen worden. „Mick“ lief also ohne Hose, nur mit einem Männer- Tanga bekleidet, mit seiner ganz eigenen Mission den Camino. In einem letzten Versuch seine Ex-Freundin von sich zu überzeugen, versuchte er, sie – die mit ihrem neuen Freund auf dem Jakobsweg unterwegs war – zu finden, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Da „Mick“ unter den Pilgernden aufgrund seines eigenwilligen Kleidungsstils inzwischen recht bekannt war, bekam seine Herzdame aber immer rechtzeitig Hinweise, so dass die beiden sich bisher nie begegnet sind.
Im Laufe des Abends setzten sich ein Däne und ein Inder zu uns: Thrond (My name is like the movie “Thron” but just with a “D” instead of a “T”) und Ghandi (just call me by my last name as my first name is too difficult). Thrond und Ghandi haben sich letztes Jahr kennengelernt, als sie zusammen mit ihren Frauen einen Teil des Jakobswegs gegangen sind. Dieses Jahr machten die beiden Männer wieder einen Teil des Jakobswegs, nur dieses Mal als Männerurlaub“. Die beiden besaßen einen irren Unterhaltungswert. Ghandi ist eigentlich Dr. Ghandi und arbeitet als Arzt in einem Krankenhaus in England. Er ist, so sagt er zumindest, ein direkter Nachfahre von Mahatma Gandhi. Ob ich ihm so recht glauben soll, weiß ich nicht, aber es ist zumindest eine gute Story.
Was man hochläuft, muss man auch wieder runterlaufen. So ging es an Tag 29 an den Abstieg. Am Vortag hatte ich kurz vor O Cebreiro die Grenze zwischen Kastilien und Galizien überquert. Die Bauweise der Häuser veränderte sich, ebenso wie die Menschen und das „Spanisch“. Hier war alles etwas ländlicher und kerniger. Nachdem Maja sich dazu entschieden hatte, mit dem Bus zu fahren, um einen Arzt aufzusuchen, lief ich mit MC allein weiter. Es ging durch kleine Orte, über Bauernhöfe und entlang von Kuhweiden. Mal ein paar Meter hoch und dann wieder viele Meter runter. Die Landschaft war so abwechslungsreich, dass wir ohne Mühe mehrere Kilometer liefen. In Tricastela verabschiedeten wir uns, unser gemeinsamer Weg würde hier enden. Ich checkte in ein kleines, von Belgiern geführtes Hostel ein. Heute Abend werde ich mit Ghandi und Thrond zu Abend essen – ich bin gespannt.