Am Vorabend hatte ich mir eine Flasche Wein zum Abendessen gegönnt und fest damit gerechnet, mit schwerem Kopf in den Tag starten zu müssen. Erstaunlicherweise ging es mir blendend – mit Ausnahme meiner Füße, Fußgelenke, die weiterhin schmerzten. In Torres del Rio lag meine Unterkunft am Fuße eines Berges, den ich nun zu erklimmen hatte. Ich schlich die kleinen Gassen hoch. Als ich oben angekommen war und das kleine Örtchen verließ, hatten meine Beine schon die richtige Betriebstemperatur. Nach ein paar Kilometern traf ich Erika, eine pilgernde Kinderärztin, die ihre Wurzeln in Paderborn hat. Wir unterhielten uns und machten gut Strecke, bis uns von links ein älterer Herr überholte. David, 71, aus Oxfordshire und ehemals bei der Royal Airforce, hatte die letzten 20 Jahre seine Frau gepflegt. Weihnachten hatte seine Familie ihm nahegelegt, doch mal etwas für sich zu unternehmen. So beschloss David also, 2024 den Jakobsweg zu gehen. Er hatte die letzten Monate auf dieses Ziel hintrainiert. Und das merkte man.
Während er uns seine Lebensgeschichte erzählte, hatten wir Mühe mit ihm Schritt zu halten (und der gute Mann lief ebenfalls mit Gepäck). Obwohl ich in guter Gesellschaft lief, waren die letzten Kilometer ein echter Kampf.
Am frühen Abend erreichten wir Logroño. Im Hotel versuchte ich meine Beine mit Voltaren und Schmerzmittel in einen Zustand zu versetzen, der mir einen gelaufenen Ausflug in die Altstadt von Logroño ermöglichen würde. Zumindest bis zum Marktplatz schaffte ich es, wo ich wieder Mathias in die Arme lief. Wir waren uns am ersten Abend begegnet und trafen uns seitdem immer wieder ungeplant – zumeist auf Marktplätzen. Wir gingen spontan mit einem anderen Pilger – den ich auch schon einige mal gesehen hatte – etwas essen und setzten uns dann noch auf den Marktplatz. Nach einem Bier gesellten sich eine Holländerin und ein Kanadier zu uns. Der Kanadier hatte mit Anfang 40 das erste Mal seine Heimat verlassen und war sichtlich begeistert von dem, was er entlang des Caminos so erlebt hatte.
Tag 8:
Trotz ernsthafter Sorgen vor dem mir bevorstehenden Tag – mir standen knapp 30 km von Logroño nach Nájera bevor – kam ich morgens gut voran. Ich hatte mir vorgenommen, die erste Pause nach frühstens 10 Kilometer zu machen. Nach gut 13 Kilometer fand ich ein kleines Café, in dem ich mir ein spätes Frühstück gönnte. Als ich mir gerade meinen zweiten Kaffee bestellen wollte, bog Mathias um die Ecke. Ich glaube, der verfolgte mich ;). Am Nachbartisch saß ein Mädel, das sich erst später als Deutsche zu erkennen gab. Offensichtlich hatten unsere Gesprächsthemen sie nicht abgeschreckt; denn Judith (aus der Nähe von Hannover) lief die nächsten Kilometer mit uns. Judith erzählte von ihren letzten Tagen und dass sie eine Holländerin kennengelernt hatte, deren Beschreibung sich sehr nach Greta, meiner Begleitung an Tag 5 und 6 anhörte. Natürlich war es Greta – so klein ist der Camino. An einer Abzweigung vollzogen wir einen fliegenden Wechsel: wir verabschiedeten uns von Judith – die heute nicht ganz so weit laufen wollte wie wir – und liefen direkt in die Arme des Kanadiers vom Vorabend und seiner Begleitung. Seine Begleitung hatte mit Blasen und Schmerzen zu kämpfen, nutzte aber ihre Laufstöcke nicht. Dem Kanadier fiel nichts Besseres ein, als meinen Laufstil und die Nutzung der Wanderstöcke zu loben: „Look, you have to walk like him. He walks like a gazelle. Like a well fed gazelle.” Sinngemäß fand der Kanadier also, dass ich mich wie eine gut genährte Gazelle bewegen würde. Schmeichelhaft.
Pünktlich, bevor es anfing zu regnen, erreichen wir Nájera. Ein Ort, der auf den ersten Blick nicht zum langen Verweilen einlädt – was auch für meine Unterkunft für diese Nacht galt. Resümee der letzten beiden Tage: In guter Gesellschaft läuft es sich gleich leichter.