Heute, an Tag 11 meines Jakobsweg-Spendenlaufs möchte ich versuchen, ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. Nach nunmehr 11 Tagen und 282 km zu Fuß, an denen ich aus Frankreich kommend die Pyrenäen überquert und die Regionen Navarra und Rioja durchlaufen habe, befinde mich nun in der Region Kastilien. Die Höhenmeter, die ich – rauf und runter – überwunden habe, möchte ich gar nicht mehr zählen; denn die tun am meisten weh.
Wie sich die Landschaft in den Regionen geändert hat, so hat sich auch die Stimmung auf dem Camino und das Miteinander der Pilgernden verändert. Während sich bei der Überquerung der Pyrenäen jeder noch für sich allein durchgebissen hat, haben sich ab dem ersten Stopp in der Region Navarra kleine Grüppchen gebildet, die sich immer wieder – auch wenn die meisten Pilgerinnen und Pilger tagsüber allein unterwegs sind – über den Weg laufen. Ob nun die Laufgeschwindigkeit, ähnliche Interessen und Themen oder einfach der Zufall dafür ausschlaggebend sind, lasse ich mal dahingestellt sein. So langsam hat sich ein Alltag auf dem Camino entwickelt, an dem jeder tagsüber seiner „Arbeit“ nachgeht – laufen, laufen, laufen – und am späten Nachmittag seine Besorgungen erledigt: Unterkunft suchen, waschen und Einkäufe für den nächsten Tag erledigen. Abends trifft man sich zum netten Beisammensein. Eine Routine, unter der die Kilometer fast dahinschmelzen.
Für viele, die in Frankreich gestartet sind, endet der Camino in Burgos, da die Wenigsten mehr als zwei bis drei Wochen Urlaub am Stück erübrigen können. Einige mussten wegen Verletzungen oder erschöpfungsbedingt aussteigen. Einige werden weiterlaufen und versuchen, ihren Weg in Santiago zu beenden. Wenn ich andere Pilgernde danach frage, was denn ihr Endziel ist, sagen die meisten: „Ich hoffe Santiago“. Immer öfter höre ich, dass Gepäck zur nächsten Station geschickt wird, eine Station mit dem Taxi oder Bus übersprungen wird oder ein paar Tage Pause eingeplant werden, um sich von den letzten Etappen zu erholen.
In den zurückliegenden drei Tagen habe ich 83 Kilometer zurückgelegt, größtenteils allein. Mein Zeitplan sah es vor, gut Strecke zu machen, um am Tag 12 zur Entlastung meines Körpers einen kurzen Tag einzuschieben und mir am „Feierabend“ Burgos ansehen zu können. Meine Knie machen mir derzeit weniger Probleme als ich ursprünglich erwartet hatte, meine Füße und Knöchel dafür umso mehr. Und da sind ja auch noch meine Zehennägel, die bei langen An- und Abstiegen immer nach vorne gegen die Schuhe drücken. Drei davon leuchten inzwischen grün und blau, ein vierter ist auf dem Weg, sich zu verabschieden.
Als ich an Tag 10 allein vor mich hingelaufen bin, es zu schütten angefangen hatte und der Weg dann die letzten Kilometer noch auf einer Landstraße – auf der die LKWs an mir vorbeigedonnert sind – verlief, hatte ich meinen ersten Tiefpunkt erreicht. Ich schimpfte vor mich hin, was ich mir eigentlich dabei gedacht hätte, so ein völlig bescheuertes Projekt in Angriff zu nehmen. Ein Blick in den Spiegel oder auf die Waage hätte mich ja – wenn ich bei Verstand gewesen wäre – davon abhalten müssen. Mit mieser Laune lief ich die letzten Meter zu meiner Unterkunft, die sich –um dem Tag die Krone aufzusetzen – an eben jener Schnellstraße befand, über die ich gerade gelaufen war. Ich schmiss meinen Rucksack in die Kammer, die mir als Zimmer in einer Pension verkauft worden war, und wollte noch mein tägliches Spendenvideo aufnehmen. 11.881,00 Euro waren bis zum Ende des Tages 10 zusammengekommen. Der erste, der zweite und der dritte Aufnahmeversuch waren für die Tonne. Alles, was ich sagte, war von Straßenlärm übertüncht. Nachdem ich mein Mikrophon mit einem „Fellpuschel“ ausgestattet hatte, ging es so halbwegs. Das Video war online. Endlich konnte ich runter in die kleine Bar gehen, die zu der Pension gehörte. Das Betreiberpaar aus Panama sprach kein Wort Englisch, aber mit meinen paar Worten Spanisch und viel Geduld auf beiden Seiten hatte ich irgendwann zwei Bier und eine Pizza vor mir stehen. Die Stimmung war, auch ohne Sprachkenntnisse, ganz nett und ich dachte noch einmal über den Tag nach.
Wahnsinn, wir hatten wirklich an Tag 10 die Spendensumme von 11.000,00 Euro geknackt. Auf einmal waren die Füße nicht mehr so schlimm und nach zwei weiteren Gläsern Wein, mit denen ich diesen Zwischenerfolg gefeiert habe, bin ich schließlich ins Bett gefallen.